Der Vorwurf wegen Fahrens mit ungenügendem Abstand ist je nach dem mit empfindlichen rechtlichen Konsequenzen verbunden (Busse, Verwarnung, Führerausweisentzug etc.). In vorliegender Blog möchten wir Ihnen die Rechtslage sowie Rechtspraxis näherbringen. Sie lernen etwas über die Verfahren und Verfahrenskosten und insbesondere, wann eine anwaltschaftliche Intervention sinnvoll sein kann. Und am Schluss finden Sie unsere Kontaktangaben für ein Kennenlerngespräch mit der Prüfung der Sach- und Rechtslage. Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Lesen, damit Sie in Ihrer Situation zu mehr Klarheit kommen.
Wie jeder weiss, gilt es beim Hintereinander- oder Nachfahren, einen ausreichenden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten. Diese in Art. 34 Abs. 4 SVG festgehaltene Vorschrift wird in Art. 121 VRV dahin verdeutlicht, dass der Abstand so gross sein muss, dass auch beim Bremsen des Vordermannes rechtzeitig angehalten werden kann. Ausreichend ist damit der Abstand nur dann, wenn auch bei einer Notbremsung hinter dem voranfahrenden Fahrzeug rechtzeitig, d.h. ohne Kollision und ohne Schleudern mit entsprechender Gefährdung anderer, angehalten werden kann. Es stellt sich in Hinblick auf die Gefährdung die Frage:
Wie gross muss der Abstand sein ("Halber-Tacho-Regel")?
Im Allgemein gilt die sogenannte «2-Sekunden-Regel», wonach ein zeitliches Intervall von 2 Sek. zum Vordermann eingehalten werden soll (abgezählt mit "einundzwanzig, zweiundzwanzig"). Etwa das Gleiche besagt die Regel auf Autostrassen und Autobahnen, wonach der Abstand (in Metern) ungefähr der halben Geschwindigkeit (in km/h) entsprechen («halber Tacho») soll und diese Distanz nicht unterschritten werden darf. Der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug in Metern darf nicht also kürzer sein als die Hälfte der eigenen Geschwindigkeit in Stundenkilometern. Bsp.: Sind Sie also ausserorts mit den erlaubten 80 km/h unterwegs, dürfen Sie nicht näher als 40 Meter zum nächsten Wagen aufschliessen.
Wann ist ein grösserer Abstand nötig? Die Regel des halben Tachoabstands gilt allerdings nur bei Tag sowie auf ebener und trockener Fahrbahn. Vor allem bei miesen Strassen- und Witterungsbedingungen (z.B. Regen, Nebel oder Glatteis) muss der Abstand grösser sein.
Geringerer Abstand - wo? Ein geringerer Abstand ist nur dort erlaubt, wo erhöhte Bremsbereitschaft ausreicht: im dichten Stadtverkehr, bei Stau oder beim Anfahren bei Grünlicht.
Der Abstand braucht nicht über eine längere Zeit zu kurz zu sein!
In der Schweiz gibt es keine Bestimmung, die in Hinblick auf die «Zwei-Sekunden-Regel» oder der «halbe-Tacho» besagt, dass der Abstand über eine bestimmte Dauer unterschritten sein muss. Dies bedeutet, dass bereits eine kurze Abstandsunterschreitung - wie z.B. bei einem Fahrstreifenwechsel mit Wiedereinbiegen – grundsätzlich strafbar ist.
In der Praxis schauen die Polizisten meisten jedoch, ob der Abstand eine gewisse Zeitdauer unterschritten ist, bevor sie Anzeige erstatten, um dem Beweisrisiko vorzubeugen und auch ausschliessen zu können, dass nicht ein anderes Fahrzeug beim Streifenwechsel den Abstand verkürzt hat und somit keine Schuld vorliegt. Man kann als Autolenker in solchen Konstellationen ja keine Vollbremsung reissen, um nicht hintere Lenker zu gefährden. Vorsicht ist geboten, hier keine ungünstigen Aussagen zu Protokoll zu geben. Es ist besser vorerst die Aussage zu verweigern oder mitteilen, dass erst Aussagen nach Beizuges eines Anwaltsgemacht werden.
Und was, wenn die Anzeige ins Haus flattert...?
Beweisrecht – Hier kann anwaltschaftliche Präzisionsarbeit gefragt sein
Wie wir alle wahrscheinlich wissen, muss der Staat die Abstandsverletzung beweisen bzw. nachweisen können. In der Praxis werden sehr oft vermeintliche Abstandsverletzungen durch Polizisten oder Private zur Anzeige gebracht. Ihre Wahrnehmungen gelten als Beweise. Alleine die persönlichen Wahrnehmungen z.B. von Polizisten können für eine Verurteilung ebenfalls ausreichen. Selbstredend können solche Aussagen aufgrund des subjektiven Charakters in einem allfälligen Gerichtsverfahren angefochten oder angezweifelt werden. In dieser Konstellation kann es sich lohnen, die Sach- und Rechtlage durch einen spezialisierten Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Liegen (zusätzlich) Videoaufnahmen vor, kann der Abstand je nach Gerät anhand der gemessenen Geschwindigkeit und von den Fahrstreifen nachgerechnet werden. Hier ist die Beweislage eher schwierig, es passieren aber auch hier Fehler.
Abstandsfotos durch Kameras?
Hat man nur ein Bild mit einer Zustandsmessung durch eine Abstandskamera, wie das in der Praxis immer häufiger vorkommt, so kann es hilfreich sein, die näheren Strassenverhältnisse zu umschreiben. An sich könnte die Abstandberechnung angefochten werden beim Eidgenössisches Institut für Metrologie (METAS). In der Rechtsrealität ist dann der effektive Abstand aber praktisch immer noch grösser, da bei einer ganz exakten Messung Toleranzabzüge wegfallen, verständlich oder? Hier kann es hilfreich sein, den Sachverhalt von einem Anwalt überprüfen zu lassen.
Wie sieht es bei Massenkollisionen aus
Auffahrkollisionen ereignen sich insbesondere immer wieder auf Autobahnen und sie arten dann oft ın Massenkollisionen aus. Auch das ist zweifelsohne ungenügendem Abstandhalten zuzuschreiben. Es ist ein seltsames Phänomen, dass speziell ın Doppelkolonnen nur noch ein minimaler Abstand eingehalten wird. Wahrscheinlich hängt das mit fehlerhafter Einschätzung der Lage zusammen. Der Automobilist sieht, was an sich natürlich ist, die Gefahr in erster Linie bei den Fahrzeugen der Kolonne nebenan. Zu dieser hat seine Kolonne aber meist nur eine geringe Differenzgeschwindigkeit von vielleicht 20 km/h (die * linke Kolonne fährt mit ca. 110 km/h und die rechte mit 90 km/h).
Brüskes Bremsen nur im Ausnahmefall strafbar
Bremsen auf freier Strecke muss so sanft wie möglich und unter tunlichster Rücksichtnahme auf den nachfolgenden Verkehr geschehen (Art. 37 Abs. 1 SVG). Brüskes Bremsen und Halten sind grundsätzlich nur im Notfall gestattet (Art. 12 Abs. 1 VRV). So wurde eine Automobilistin, die wegen auf der Strasse auftauchender Tiere plötzlich scharf bremste, worauf der nachfolgende Lenker auffuhr, freigesprochen (BGE 115 TV 250). Ebenso hatte der Automobilist, der, weil er von einem Entgegenkommenden geblendet wurde, relativ scharf abbremste, Art. 12 Abs. 1 VRV nicht verletzt. Mithin könnte auch demjenigen kein Vorwurf gemacht werden, der z. B. wegen auf die Strasse springender Kinder eine Notbremsung einleitet. Oder das tut, weil er ausgangs einer Kurve plötzlich einen umgefallenen Baum oder ein anderes Hindernis auf der Strasse sieht; das selbst dann, wenn er diesem Hindernis vielleicht hätte ausweichen können.
Was es zum Schikane-Stopp zu wissen gibt
Art. 37 Abs. 1 SVG auferlegt dem Vordermann zwar auch die Pflicht, nach Möglichkeit auf die nachfolgenden Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen. Das bezieht sich aber vorab auf das Anhalten (BGE 117 IV 504) und bedeutet im Wesentlichen nur, dass nicht ohne Not stark und überraschend abgebremst werden soll. Verboten ist hingegen der sogenannte Schikane Stopp, d.h. unmotiviertes brüskes, unnötig scharfes Bremsen aus Böswilligkeit (BGE 117 IV 504, 99 IV 100). Solches liegt z.B. vor, wenn der Überholende aus Ärger darüber, dass ihn der Vordermann gesperrt hatte, unmittelbar nach dem Überholmanöver einschwenkt und abbremst, um dem Sperrenden eine Lektion zu erteilen. Anmerkung: Zulässig ist dagegen, einen Nachfolgenden, der zu nahe aufgeschlossen ist, durch mehrmaliges Antippen der Bremsen zu warnen (BGE 99 IV 100, 81 IV 51). Das darf aber nur unter mässigem, nur unwesentlichem Abbremsen geschehen. Wichtig: Wesentlich für den Entscheid, ob Art. 12 Abs. 2 VRV verletzt ist, ist somit die Frage, ob der Nachfolgende grundlos gefährdet wurde und der Bremsende darum wusste oder wissen musste (BGE 117 IV 504).
Bundesgerichtsentscheide zum ungenügendem Abstand beim Hintereinanderfahren im Strassenverkehr:
BGE 6B_1014/2010 vom 12.05.2011: Ein Automobilist war an einem Sonntagmorgen auf der Autobahn unterwegs. Durch eine Baustelle war der Normalstreifen auf den Überholstreifen verschoben. Auf diesem Normalstreifen folgte der Lenker dem vorausfahrenden PW mit einem Abstand von ca. 5 bis 10 Metern über eine Distanz von 1'150 bis 1'700 Metern mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h. Die zweite kantonale Strafinstanz taxierte diese Fahrt als grobe Verletzung der Verkehrsregeln. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil und hielt zudem fest, dass die Rechtsprechung keine allgemeinen Grundsätze zur Frage entwickelt habe, bei welchem Abstand in jedem Fall eine einfache Verkehrsregelverletzung anzunehmen sei: Im Sinne von Faustregeln werde für PWs immerhin auf die Regel "halber Tacho" (entsprechend 1,8 Sekunden) und die "Zwei-Sekunden"-Regel abgestellt. Diese Distanz entspreche ungefähr der Anhaltestrecke bei plötzlichem ordnungsgemässem Bremsen und Anhalten des vorausfahrenden Fahrzeugs. Für die Beurteilung, ob eine grobe Verkehrsregelverletzung anzunehmen sei, werde als Richtschnur die Regel "1/6-Tacho" bzw. Abstand von 0,6 Sekunden herangezogen.
BGE 6B_1030/2010 vom 22.03.2011: Das Bundesgericht hielt in diesem Entscheid fest, dass auch innerorts ein ausreichender Sicherheitsabstand eingehalten werden müsse, wobei im Stadtverkehr die Bremsreaktionszeit genüge. Da diese im besten Fall auf 0,7 bis 0,75 Sekunden gehe und dieser Wert unter realistischen Alltagsbedingungen nicht erreicht werden könne, müsse selbst bei guter Sicht und trockener Fahrbahn, mindestens ein Abstand von 1 Sekunde eingehalten werden. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h entspreche dies einem Mindestabstand von ungefähr 14 Metern.
BGE 6B_502/2016 vom 13.09.2016: Bei Kolonnenverkehr auf der Autobahn kam es zu einer Auffahrkollision, in die 6 Fahrzeuge verwickelt waren. Das Bundesgericht bestätigte bei der Beurteilung dieses Unfalls die Faustregel "halber Tacho"; es müsse auch bei dichtem Verkehr auf der Autobahn bei Tempo 80 ein Abstand von mindestens 40 Metern eingehalten werden. Dass das Bundesgericht im dichten Stadtverkehr beim Anfahren nach Lichtsignalen nicht strikte auf diese Faustregel beharre, weil sonst der Verkehr in den Städten zum Erliegen käme, könne nicht auf Autobahnen übertragen werden.
So gehen Sie vor, wenn Sie rechtliche Unterstützung benötigen:
Wir hoffen, Sie konnten aus vorliegendem Blog nützlich Informationen entnehmen und abschätzen, ob Sie eine anwaltschaftliche Vertretung benötigen. Oft hilft ja bereits die Abklärung der Sach- und Rechtslage um die erforderliche Gewissheit zu erlangen, ob sich ein Rechtsmittel zur Abwehr der Sanktionen lohnt oder in den sauren Apfel zu beissen. Gerne stehen wir Ihnen mit unserer 13-jährigen Berufserfahrung im Strassenverkehrsrecht als Rechtsanwalt und als nebenamtlicher Richter zur Verfügung. Profitieren Sie von dieser einzigartigen Erfahrung.
Und der Weg dazu ist einfach: Vereinbaren Sie ein Gesprächstermin oder schicken Sie uns die Unterlagen mit dem Auftrag zur Abklärung der Sach- und Rechtslage. Gerne klären wir Sie über alle wesentlichen Punkte sowie das rechtliche Verfahren auf. Alles Wissenswerte finden Sie auf der Homepage.
Vorsicht: Strafbefehle müssen mit einer Einsprache innert 10 Tagen angefochten werden, am besten per Einschreiben. Gerne übernehmen wir das auf Wunsch für Sie.
lic. iur. Oliver Streiff, Rechtsanwalt, Experte in Strassenverkehrsrecht
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